Zokars Tagebuch
von Zokar
Soran, so hieß das Dorf in dem ich aufgewachsen bin. Aus Erzählungen habe ich erfahren, dass es dort sehr schön und friedlich gewesen sein muss. Die Menschen in Soran waren hauptsächlich Bauern und versorgten sich selbstständig, selbst mit nahe gelegenen Dörfern gab es praktisch keinen Handel, die Bewohner liebten ihre Abgeschiedenheit.
Eines Tages jedoch fand Ashari, eine Bewohnerin des Dorfes, einen seltsamen Tempel im Wald, der noch nie zuvor jemandem aufgefallen war. Im Inneren des Tempels befand sich eine gar seltsam anmutende Kreatur, aus dessen Brust eine glänzende Klinge ragte. Ahnungslos welches Unheil sie damit heraufbeschwören würde, nahm Ashari die Klinge an sich und brachte sie mit nach Soran.
Wenige Tage später tauchte plötzlich die Kreatur aus dem Tempel in Soran auf. Offenbar war sie nicht tot, wie Ashari geglaubt hatte, sondern nur das Schwert in ihrer Brust hielt sie davon ab den Tempel zu verlassen. Mit dem ersten Auftauchen dieses Wesens begann das jahrelang andauernde Martyrium unseres Dorfes.
Relnar, diesen Namen gaben wir diesem Wesen später, was so viel bedeutet wie Der Quälende, ging bei diesem Besuch auf den Marktplatz von Soran. Auf dem Weg dorthin wagte es nur ein mutiger junger Mann sich ihm in den Weg zu stellen, während alle anderen sich in ihren Häusern versteckten. Relnar packte ihn am Kopf und stieß einen grellen Schrei aus, woraufhin der Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammenbrach. Während Relnar sich auf dem Marktplatz damit beschäftigte, etwas zu bauen, kamen zwei Frauen dem Mann zu Hilfe, der allerdings nur noch die Worte Der Schmerz fesselt die Menschen und schenkt dem Dämon seine Macht sprechen konnte, bevor er starb.
Kurz darauf begannen die Bewohner von Soran zu realisieren, was er damit wohl gemeint hatte:
Relnar hatte auf dem Marktplatz eine Säule aus rötlich pulsierenden Kristallen errichtet und war dann mit dem Schwert, das einst in ihm steckte, wieder verschwunden.
Schon am nächsten Tag zeigte sich die Wirkung dieser Kristallsäule: Jeder Bewohner von Soran, der das Dorf für seine täglichen Arbeiten verließ, kam kurz darauf zurück und klagte über unbeschreibliche Schmerzen im ganzen Körper. Sobald diese Menschen sich der Säule wieder näherten, wurden die Schmerzen geringer. Diese Wirkung hatte offenbar direkt etwas damit zu tun, wie weit man von Relnars seltsamer Säule entfernt war.
Jeder Versuch die Säule zu zerstören scheiterte jedoch nicht nur, sondern endete auch mit dem qualvollen Tod desjenigen, der es versuchte.
Schon nach wenigen Tagen veränderte sich das Leben im Soran grundlegend: Die Bauern begannen damit ihre Felder näher zum Dorf hin zu verlegen, um sich in Zukunft nicht mehr so weit von der Säule entfernen zu müssen. Die wenigen Jäger, die das Dorf bisher mit Fleisch versorgt hatten, gaben ihre Arbeit ganz auf, da sie sich nicht mehr weit genug vom Dorf entfernen konnten, um nach Wildtieren zu suchen.
Auf diese Weise sank zwar die Lebensqualität des Dorfes enorm, aber es war möglich überhaupt zu überleben, ohne dauerhaft den schlimmen Schmerzen dieser unheilvollen Kristallsäule ausgesetzt zu sein.
Aber als wenn das noch nicht genug gewesen wäre, kam Relnar selbst in unregelmäßigen Abständen in Soran vorbei um sich ein Opfer zu wählen, das er foltern konnte. Und nach dem Mord bei seinem ersten Auftauchen im Dorf wagte es auch niemand mehr sich ihm in den Weg zu stellen...
Auf diese Weise vegetierte Soran jahrelang vor sich hin, als eine Art Kraftquelle für diesen grausamen Dämon. Nur die Götter selbst wissen, wofür er diese Kraft genutzt hat und welche anderen Gräueltaten er in dieser Zeit noch beging. Alle Bewohner unseres Dorfes hatten die Hoffnung auf ein normales Leben schon längst aufgegeben, aber machten - abgesehen von wenigen, die sich ihr Leben nahmen – dennoch immer weiter.
Ich selbst war gerade einmal drei Jahre alt, als Relnar das erste Mal in Soran auftauchte. Ich bin in diesem Dorf aufgewachsen und habe mein ganzes Leben lang die Verzweiflung meiner Mitmenschen gesehen, die Angst in ihren Augen, wenn der Dämon wieder einmal kam um einen von uns zu quälen. Und ich habe die Schreie meiner Freunde gehört, diese furchtbaren Schreie...
An meinem 16. Geburtstag habe ich mir geschworen, dass ich nicht länger tatenlos zusehen will.
„Entweder besiegst du Relnar oder du stirbst einen qualvollen Tod, aber SO geht das nicht mehr weiter!“, sagte ich mir. Also machte ich mich am nächsten Tag auf den Weg zu seinem Tempel, aus Erzählungen wusste ich ja mittlerweile sehr genau, wo er sich befand. Schon sehr bald erfasste mich die Wirkung der Kristallsäule, die ich natürlich auch schon kannte. Doch dieses Mal konnte mich selbst das nicht aufhalten und ich ging immer weiter in Richtung des Tempels.
Ich weiss nicht mehr wie oft ich auf dem Weg von den Schmerzen ohnmächtig wurde, aber ich bin jedes einzelne Mal wieder aufgestanden und habe meinen Weg fortgesetzt.
Und tatsächlich erreichte ich den Tempel. Relnar war zu dem Zeitpunkt glücklicherweise nicht dort und so konnte ich mich auf die Suche nach dem Schwert machen, jenem Artefakt mit dem alles begann und auch alles enden sollte. In dem selben Moment als ich die Klinge berührte verschwanden meine Schmerzen vollständig und ich vernahm eine Stimme Dir wurde viel Unrecht zugefügt, mit der Klinge des Ausgleichs besitzt Du nun die Macht, das zu beenden! Du hast es Dir verdient, die Macht dieser Waffe zu benutzen, um das Dir zugefügte Unrecht auszugleichen. Aber sei gewarnt:
Bei dieser Klinge handelt es sich um ein Artefakt des Gleichgewichts und selbst Du wirst das nicht ändern können!. Zu diesem Zeitpunkt verstand in diese Warnung noch nicht, aber ich kümmerte mich auch nicht darum.
Ich bereitete mich auf die Rückkehr von Relnar vor, jenem Wesen, das mich, meine Familie und mein gesamtes Dorf jahrelang unterdrückt und gequält hatte. Mit Hilfe der Klinge des Ausgleichs fühlte ich mich bereit. Ich war bereit diesen Abschnitt in der Geschichte Sorans für immer zu beenden.
Als er zurück in seinen Tempel kam, erwartete ich ihn bereits und griff sofort, ohne Rücksicht auf Verluste, an. Und mit der Macht der Klinge des Ausgleichs gelang es mir auch tatsächlich ihn zu besiegen. Er bekam die gesamte Wut zu spüren, die sich mein ganzes Leben lang angesammelt hatte. Ich ließ erst wieder von ihm ab, als nichts - und ich meine gar nichts - mehr von ihm übrig war.
Dieser Dämon würde nie wieder jemanden Schaden zufügen, nie wieder ein Dorf unterdrücken und nie wieder auch nur einen einzigen Menschen quälen.
Als ich nach Soran zurückkehrte und die freudige Nachricht verkündete, wollte mir erst niemand glauben. Niemand hielt es für möglich, dass die Macht von Relnar wirklich gebrochen sein sollte.
Erst als ich mit dem Schwert die Kristallsäule auf dem Marktplatz, das Zeichen unserer Unterdrückung, zerschlug, fingen alle an zu begreifen, was heute geschehen war.
Ein riesiges Fest begann und alle waren so glücklich, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte.
Alle feierten mich und das, was ich für unser Dorf vollbracht hatte.
Über die nächsten Wochen hinweg begannen alle ihre neu gewonnene Freiheit und die Umgebung des Dorfes erneut zu erkunden sowie sich ihres Lebens wieder zu erfreuen. Alle waren glücklich. Alle, außer mir...
Ich hatte das erreicht was ich am meisten wollte, hatte allen Grund glücklich zu sein und mich darüber zu freuen, doch ich konnte es nicht. Es war als fehlte etwas, etwas sehr wichtiges. Etwas, das noch ausgeglichen werden musste...
Dieses Gefühl war allgegenwärtig. Dennoch begann ich ein normales Leben - oder versuchte es zumindest. Ich begann zu jagen, ich wollte die Freiheit, die ich meinem Dorf gebracht hatte, selbst erkunden.
Eines Tages hörte ich auf der Jagd Schreie eines kleinen Mädchens. Ich erkannte ihre Stimme sofort, sie war aus einem benachbarten Dorf, mit dem wir uns mittlerweile angefreundet hatten. Ich lief zu ihr und kam gerade noch rechtzeitig um sie vor einem wilden Bären zu retten, der sie sonst mit Sicherheit getötet hätte. Wie auch bei der Jagd half mir mein Schwert bei der Rettung des Mädchens, das Schwert, das schon so viel Gutes für mein Dorf geleistet hatte.
Aber plötzlich wusste ich was fehlte, ich erkannte was noch ausgeglichen werden musste...
Während sich das Mädchen bei mir für ihre Rettung bedankte... erstach ich sie.
Es war zu viel Gutes, zu viel Recht und zu viel Ordnung, was seit Relnars Vernichtung hier herrschte. DAS musste ausgeglichen werden. Das also meinte die Warnung, die ich bei der Berührung meiner Klinge vernahm. Die Waffe selbst lässt es nicht zu, damit das Gleichgewicht der Welt zu stören. Und durch Relnars Tod hatte ich genau das in Gang gesetzt.
Als ich begriffen hatte, was gerade geschehen war, fühlte ich mich so schrecklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich hatte einem unschuldigen, kleinen Mädchen das Leben genommen. Und ich spürte deutlich, dass das noch nicht genug war. Ich fühlte ein Verlangen, das mir völlig neu war. Ich wollte töten, ich wollte Schmerzen bereiten und Unrecht über die Welt bringen.
Ich versuchte das Verlangen zu ignorieren, aber es gelang mir nicht, es wurde nur noch stärker.
Ich versuchte sogar, die Klinge des Ausgleichs los zu werden, in der Hoffnung, der Drang würde damit auch nachlassen. Ich brachte die Waffe zurück in den Tempel und ging wieder ins Dorf. Doch auch das brachte keine Verbesserung, ich war aggressiv, gereizt und fing ständig Streit an.
Die Macht der Klinge hatte Besitz von mir ergriffen, selbst über diese Entfernung.
Aber das wollte ich nicht zulassen, ich war nicht bereit Relnars Platz einzunehmen. Niemand sollte das machen!
Jetzt befinde ich mich wieder im Tempel, mit der Klinge des Ausgleichs in meinem Händen und das Verlangen zu töten in meinem Herzen. Aber das werde ich nicht zulassen, ich werde niemals so sein!
Also schreibe ich nun diese Zeilen, die die Geschichte meines Lebens dokumentieren und ihm fehlt nur noch eins: das Ende.
Ich werde mich nicht der Macht dieses Artefakts beugen, stattdessen werde ich sie dazu benutzen mich bis in alle Ewigkeit an diesen Tempel zu binden um der Wächter dieser Klinge zu werden, damit sie niemand jemals wieder verwenden kann.